Kommunikation: Zwei Stunden reichten dem Erfinder zum Telefon-Imperium - WELT (2024)

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Ganz egal, wie groß sein Imperium wurde, und ganz egal, wie sehr ihn die Nachwelt bis heute für seine Erfindungen feiert – dass Alexander Graham Bell ein netter Kerl gewesen wäre, lässt sich beim besten Willen nicht behaupten. Dies belegt schon allein die Tatsache, wie viele Menschen ihn für den Erfinder des Telefons halten. Doch als er am 14. Februar 1876 ganze zwei Stunden vor Elisha Gray das Patent für die Apparatur anmeldete, war ihm sein Konkurrent technisch weit voraus gewesen.

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Heutzutage gehört das Smartphone fast überall in der Welt zu den alltäglichsten Gegenständen überhaupt. Obwohl so gut wie kein Nutzer wirklich versteht, wie es möglich ist, sich mit Menschen am anderen Ende der Welt in der Straßenbahn zu unterhalten und dabei auch noch im Internet zu surfen oder persönliche Nachrichten zu checken, nehmen Milliarden Nutzer diesen Service inzwischen ganz selbstverständlich hin.

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Wie anders war das im 19. Jahrhundert, als der Telegraf als Krone der technischen Entwicklung galt. Dieser bot nur die Möglichkeit, geschriebene Worte durch elektrische Impulse schnell von einem Ort zum nächsten zu transportieren. So brach sich die Entwicklung des Telefons unaufhörlich Bahn: Als Bell sein Patent angemeldet hatte, wurde auch Leuten, die den Apparat vorher als Spielerei angesehen hatten, langsam klar, welche Auswirkungen es haben würde, wenn Menschen über weite Distanzen hinweg tatsächlich miteinander sprechen könnten.

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1847 im schottischen Edinburgh geboren, war schon sein Vater war als Professor für Rede- und Vortragskunst sehr daran interessiert, die Möglichkeiten der Sprache zu erweitern: Er entwickelte eine der ersten Lautschriften. Die Mutter kümmerte sich um Gehörlose und war eine Verfechterin der These, dass diese lautsprachlich erzogen werden sollten, nicht gebärdensprachlich.

Bell selbst war ein schwacher Schüler, studierte aber in Edinburgh Latein und Griechisch und wurde mit 17 Jahren Lehrer an der Weston House Academy für Sprechtechnik und Musik im schottischen Elgin. Dann folgte er seinem Vater nach London ans University College, wo er Dozent für Sprechtechnik war, studierte dieses Fach ebenfalls und gab auch Sprechunterricht.

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Bereits etwas früher, nämlich im Jahr 1861, hatte der Deutsche Philipp Reis in Frankfurt/Main ein Gerät vorgestellt, das Sprache mittels elektrischen Stroms in die Ferne übertragen konnte. Er nannte es „Telephon“. Gebaut hatte der Physiklehrer den Apparat in Anlehnung an das menschliche Ohr: Erst schnitzte er aus Holz eine Ohrmuschel, an deren Ende spannte er eine Membran aus Schweinsdarm, die als Trommelfell diente. Auf der Membran waren ein Platinplättchen und ein Platinstift befestigt, sie simulierten die Gehörknöchelchen. Dieser Platinkontakt war Teil eines durch eine Batterie betriebenen Stromkreises.

Wer in dieses künstliche Ohr hineinsprach, versetzte die Membran in Schwingungen und erzeugte eine Modulation des Stromes. Dies erzeugten akustischen Schwingungen, welche in Stromimpulse umgewandelt, über eine Spule weitergeleitet und über einen Stab empfangen wurden. „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“ gilt als erster telefonisch gesprochener Satz von Philipp Reis bei Versuchen in seinem Haus.

Der tiefere Sinn dieses spontan eingesprochenen Humbugs lag darin, dass Reis sich vor jedem Verdacht schützen wollte, die übertragenen Texte seien im Vorfeld abgesprochen gewesen. Leider waren die Worte ohnehin schwer zu verstehen – Reis’ Erfindung übertrug Töne besser als menschliche Laute, und alles war sehr starken Schwankungen ausgesetzt. Der große Durchbruch blieb in Deutschland deshalb aus.

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Alexander Bell hatte 1862 von dem Apparat in Deutschland gehört und war seitdem immer fasziniert gewesen. Der Vater hatte einen Preis für ihn und seine beiden Brüder ausgelobt, falls es ihnen gelänge, Reis‘ Modell so weiterzuentwickeln, dass es Signale stabil übertragen würde. Aber die Familie musste einen Schicksalsschlag hinnehmen: Alexanders Brüder starben an Tuberkulose, ohne dass Entscheidendes passiert wäre. Des besseren Klimas wegen beschloss man, auszuwandern. 1871 arbeitete der verbliebene Sohn als Taubstummenlehrer im US-Staat Massachusetts.

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Um das Jahr 1873 – Alexander Bell war inzwischen Professor in Boston – fand er dann die Zeit, sich wieder intensiv mit der Übertragung von Sprache zu befassen. Er versuchte, einen „Harmonischen Telegraphen“ zu entwickeln, der durch Benutzung mehrerer isolierter Tonlagen mehrere Nachrichten gleichzeitig senden können sollte. 1874 führte Bell akustische Experimente zur Aufzeichnung von Schallwellen durch. Als der Rechtsanwalt Gardiner Greene Hubbard und der Geschäftsmann Thomas Sanders von den Experimenten erfuhren, drängten sie ihn, nun wirklich ernst zu machen.

Der so Genötigte hatte nun das Problem, mit seinen Apparaturen Tonfolgen übertragen zu können, aber ob es gelang, war Zufall. Trotzdem meldete er über den Anwalt Hubbard am 14. Februar 1876 um 14 Uhr seine Idee als Patent an – ein funktionierendes Modell war dafür nicht nötig. Wäre dies der Fall gewesen, hatte das Patent an den Erfinder Elisha Gray gehen müssen, dem leitenden Mitarbeiter und Anteilseigner des größten Herstellers telegrafischer Geräte in den USA, der Western Electric Manufacturing Company. Der Fernsprecher dieses Mannes war bereits so weit ausgereift, dass er einen relativ stabilen Betrieb garantierte. Doch Gray kam eben 120 Minuten zu spät.

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Im Lager Bells sorgte der Mechaniker Thomas A. Watson in den kommenden Jahren dafür, dass der neue Apparat halbwegs zuverlässig hielt, was er versprach. Bereits am 10. März 1876 soll der erste deutlich verständliche Satz übertragen worden sein. Der Meister sprach zu seinem Gehilfen einen Raum weiter: „Watson, come here. I need you“ („Watson, kommen Sie her, ich brauche Sie“). Diese Szene ist in Lehrfilmen über das Telefon mit mehr oder weniger guten Schauspielern unzählige Male nachgespielt worden. Von einem Mister Gray ist dabei allerdings nur selten die Rede.

Er hätte es verdient, denn was auf die Sätze folgte, war der größte Patentstreit der Geschichte. Bereits am 7. März – also vor dem legendären ersten Satz – war das Patent zugunsten Bells erteilt worden, und Gray argumentierte nun, sein Gegner habe in der Weiterentwicklung mit einem speziellen Widerstand ein Bauteil verwendet, das eindeutig auf ihn zurückgehe. Ein Mitglied des Patentamts gab zu, bestochen worden zu sein, aber das wollte die Öffentlichkeit nicht hören.

Fest steht, dass Bell in kommerzieller Hinsicht das Beste aus seinen Möglichkeiten machte – und dabei wenig zimperlich vorging. Zusammen mit Sanders und Hubbard gründete er 1877 die Bell Telephone Company, Assistent Watson beteiligte das Triumvirat immerhin. Anfangs interessierte sich kaum jemand für die Erfindung.

Bell war sogar bereit, die Patentrechte Elisha Grays Firma für die Summe von 100.000 Dollar zu verkaufen, doch die lehnte ab. Auch Amerikas Telegrafengesellschaften hatte sich Bells Unternehmen zum Feind gemacht. Die Western Union Company ließ Thomas Alva Edison ein Telefon mit anderer Technik entwickeln. Prompt verklagte Bell seinerseits dieses Unternehmen wegen der Verletzung von Patentrechten.

Es folgte ein beispielloser Aufstieg: 1879 bestanden weltweit in 20 Städten Fernsprechvermittlungseinrichtungen, 1881 besaßen in den USA fast alle Städte mit mehr als 15.000 Einwohnern ein Telefonnetz. 1885 rief Alexander Graham Bell die ins Leben. Sie eroberte als größte ihrer Art schnell eine marktbeherrschende Stellung.

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Bell forschte weiter, interessierte sich unter anderem für Flugzeuge und Flugboote. Eine Untersuchung von Gehörlosen in Martha’s Vineyard griffen später Eugeniker ungeprüft auf – nicht nur in den USA wurden als Folge Gehörlose ohne ihr Wissen sterilisiert.

Der Erfinder selbst arbeitete allerdings auch mit Organisationen zusammen, um Gesetze einzuführen, die die Ausweitung von „defekten Rassen“ verhindern sollten. Als Alexander Graham Bell 1922 starb, ging damit eine Persönlichkeit, deren Wirken man nur als höchst zwiespältig bezeichnen kann. Und deren Karriere auf einem Zeitvorteil von ganzen 120 Minuten gefußt hatte.

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